Innenausstattung der Neupfarrkirche

Benjamin von Block, 1685: Die Heilung des Gichtbrüchigen (Mk 2, 1-12) Bild und Botschaft 

Vortrag zur Reformationsdekade in der Neupfarrkirche Regensburg, 14. Juni 2012 Pfarrer Ernst Reichold 

 

Bildrechte beim Autor

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,
seit einigen Monaten habe ich mich intensiv mit dem Bild an der Nordwand unserer Kirche auseinander gesetzt, das mir durch seinen prunkvoll ge-schnitzten Rahmen immer schon Eindruck gemacht hat. Es stammt von dem kaiserlichen Kammerhofmaler Benjamin von Block, der dieses Bild 1685 gemalt und ein Jahr später unserer Gemeinde gestiftet hat. Darauf illustriert er Jesu Heilung des Gichtbrüchigen nach dem Evangelisten Markus (2, 1-12).
Diese Geschichte ist bis heute nach unserer Perikopenordnung das Evangelium für den 19. Sonntag nach Trinitatis – also dem Gedenktag an die Reformation in unserer Stadt, die mit dem 15. Oktober 1542 verbunden ist, dem 19. Sonntag nach Trinitatis. Insofern könnte diese Schenkung des Bildes durch Benjamin von Block durchaus mit einer programmatischen Absicht verbunden gewesen sein: nämlich der Gemeinde das Herzstück des Evangeliums des Reformationstages bleibend vor Augen zu stellen.

Wie er das überaus kunstvoll ausgeführt hat, welche Akzente er setzt und dabei auch sich selbst in Beziehung zur Bildaussage rückt, darauf werde ich später eingehen und auch etwas zu dem Künstler Benjamin von Block und seiner Biographie erzählen. Zunächst aber möchte ich Ihnen die biblische Geschichte nahe bringen, die im Neuen Testament einzigartig ist und in der Auslegungstradition bis heute für lebhafte Diskussionen sorgt.

Ich lese das Evangelium für den 19. Sonntag nach Trinitatis nach Mk 2, 1-12:

  1. Nach einigen Tagen ging Jesus wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war.
  2. Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.
  3. Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen.
  4. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.
  5. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
  6. Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen:
  7. Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?
  8. Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen?
  9. Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?
  10. Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten:
  11. Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!
  12. Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.

A: Die Botschaft

1. Exegetische Fragen
Diese Geschichte weist in ihrer überlieferten Form einige Auffälligkeiten und Spannungen auf: Die exegetische Forschung weist darauf hin, dass der Zuspruch der Sündenvergebung im Zentrum einer Heilungserzählung nur hier im gesamten Neuen Testament begegnet. Denn für die Tradierung von Jesu Heilungswundern ist Sündenvergebung kein konstitutives Element. Sie spielt in keiner anderen Wundergeschichte eine Rolle. Und sie erfolgt auch hier höchst überraschend, da zuvor nichts von dem Sündersein des Gelähmten gesagt wurde. Alle Anwesenden in dem Haus erwarten von Jesus das Wunder der Heilung. Und dann spricht er dem Gelähmten die Vergebung seiner Sünden zu! Er heilt er den Kranken nicht sofort.
Die Diskussion mit den Schriftgelehrten über Sündenvergebung wirkt wie ein verlangsamendes Element, das zusätzlich Spannung aufbaut. Dabei hat weder der Gelähmte noch irgend jemand sonst das Thema Sünde aufs Tapet gebracht. Auch Jesus nennt keine Sünden beim Namen. Er sagt auch nicht: "Deine Krankheit ist Folge deiner Schuld!" Er erwähnt die Sünden nur, indem er sie bedingungslos vergibt.
Wir dürfen den Zusammenhang von Krankheit und Schuld demnach nicht fraglos einfach voraussetzen. Im Gegenteil müssten wir diesen Satz „Deine Sünden sind dir vergeben!“ dann für unjesuanisch halten, wenn er ein Verständnis von Krankheit als Folge von Sünde nahe legte.

Ein solches Vergeltungsdenken war zur Zeit Jesu zwar weit verbreitet. Da hielt man Götzendienst und die Entheiligung des göttlichen Namens für den Auslöser von Aussatz und glaubte aus der Krankheit eines Menschen auf eine vorausgegangene Schuld schließen zu können.
Auch heutzutage ist diese Vorstellung noch nicht aus der Welt, wie manche kirchlichen Stimmen aus den 80er Jahren zeigen, die in der Ausbreitung von AIDS eine Strafe Gottes für Sittenlosigkeit und Ausschweifung erblicken wollten.

Von Jesus aber wissen wir, dass er sich von einem solchen Denken fern hielt. Nie wird berichtet, dass er versucht hätte, auf diese Weise das Leiden eines Menschen zu erklären. Im Gegenteil wird im Johannesevangelium erzählt, dass Jesus es auf Nachfrage seiner Jünger ausdrücklich ablehnte, für die Blindheit eines Mannes dessen Sünden oder die seiner Eltern verantwortlich zu machen (Joh 9,1ff).
Und als bei einem Unglück achtzehn Menschen ums Leben kommen, weist er die Annahme zurück, diese seien größere Sünder gewesen als die anderen Einwohner (Lk 13,2ff). Der Satz von der Sündenvergebung kann folglich nur dann als jesuanisch gelten, wenn er nicht im Sinne eines Vergeltungsdenkens verstanden wird.

Eine weitere Unstimmigkeit ist der Vorwurf der Schriftgelehrten: Denn sie stoßen sich in ihren Gedanken an etwas, das Jesus in dieser Form noch gar nicht gesagt hatte. Sie empören sich über den Anspruch Jesu, selbst Sünden zu vergeben.
Doch dieser Anspruch wird eigentlich erst in Jesu abschließendem Wort V.10 erkennbar: „Der Menschensohn hat Vollmacht, Sünden zu vergeben.“ Der Zuspruch in V.5 ist dagegen passivisch formuliert: „Deine Sünden sind dir (bzw. werden dir) vergeben!“
Diese Form des Passivum divinum umgeht nach jüdischer Sprechweise das Nennen des Gottesnamens. Es weist somit darauf hin, dass Jesus dem Gelähmten die Vergebung durch Gott zusagt. Die Formulierung des Vorwurfs passt also nicht ganz und nimmt schon den später erhobenen Anspruch Jesu vorweg.

Literarkritisch zeigt sich ferner zwischen V.10 und V.11 eine Nahtstelle: Die wörtliche Rede Jesu im Streitgespräch mit den Schriftgelehrten bricht ab – und der Erzählstrang der Heilungsgeschichte wird wieder aufgenommen.

Jesu Wort richtet sich vordergründig nur an den Gelähmten. Es wendet sich zur Demonstration seiner Vollmacht jedoch auch an seine Kritiker im Hintergrund genauso wie an die Hörer der Geschichte. Das macht wahrscheinlich, dass eine bestehende Heilungsgeschichte nachträglich durch das Streitgespräch erweitert wurde.

Dies legt auch folgende Beobachtung nahe: Die staunende Reaktion der Zeugen des Wunders berücksichtigt den Widerspruch der Schriftgelehrten in keiner Weise, wenn es heißt: »alle gerieten außer sich und lobten Gott« (V.12). Dies ist nach der Topik von Wundergeschichten der übliche Chorschluss, der Gott für sein wunderbares Handeln preist. In seiner Formulie-rung lässt er allerdings hier nicht mehr erkennen, dass zuvor die Autorität Jesu in Frage stand.

Das Problem besteht also in dem unkommentierten Bezug auf alle Anwesenden. Denn dass auch die Schriftgelehrten überzeugt wurden, wäre eigener Erwähnung wert gewesen, vor allem im Kontext der markinischen Streitgespräche. In diesem Rahmen wird ja ein sich stetig steigernder Konflikt er-zählt, der auf den Todesbeschluss zuläuft. Dass die Gegner Jesu durch die Wunderheilung überzeugt wurden, scheint deshalb ausgeschlossen.

Wahrscheinlich handelt es sich bei Mk 2,1–12 also um eine uneinheitliche Erzählung. Eine Wundergeschichte wurde nachträglich um ein Streitgespräch über die Vollmacht zur Sündenvergebung erweitert. Ob in der ursprünglichen Wundergeschichte Jesu Vergebungszusage als Voraussetzung für das folgende „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim!“ bereits stand, kann nicht zweifelsfrei erhärtet werden, legt sich jedoch nahe.

Denn die Zusage steht in Mk 2,5 im Präsens: »Deine Sünden werden verge-ben.« Jesus beansprucht nicht, selbst Sünden vergeben zu können, wohl aber, deuten und zusagen zu können, was sich gegenwärtig nach dem Willen Gottes vollzieht: die Annahme der Sünder durch Gott. Dies fügt sich auch problemlos ein in seine Botschaft vom nahe gekommenen Reich Gottes.
Mit dieser Haltung steht Jesus einerseits in Kontinuität zur alttestamentlich-jüdischen Tradition, die Sündenvergebung als Privileg Gottes ansah. Andererseits fehlen kultischer Kontext oder Schuldbekenntnis; auch spielt die Umkehrforderung als Voraussetzung der Vergebungszusage keine Rolle.

Jesu Sicht hebt sich auch ab von der urchristlichen Praxis der Sündenvergebung, die durch den Einschub in den Versen 6–10 erkennbar wird. Dort wird die Anstößigkeit von Jesu Zuspruch in christologischen Kategorien ausgedrückt. Die Schriftgelehrten erkennen einen Anspruch, der für die Person Jesu erhoben wird, und sehen diesen in Konkurrenz zu Israels Gottesbekenntnis. Im Hintergrund dürfte also eher die urchristliche Verkündigung stehen. Denn sie erhebt tatsächlich den Anspruch, im Namen Jesu Sündenvergebung zuzusprechen.

Der Evangelist Markus hat diese Verknüpfung und Verschachtelung zweier ursprünglich selbständiger Themen offenbar schon vorgefunden und übernimmt damit auch die Akzentverschiebung: vom Schicksal des Gelähmten weg zur Frage nach der Vollmacht Jesu.
Es handelt sich also um ein christologisches Lehrstück - formuliert aus der Perspektive der frühen nachösterlichen Gemeinden. So hat sich der ursprüngliche Sinn der Heilungsgeschichte dramatisch verschoben, wenn das Wunder zur bloßen Illustration der Vollmacht Jesu gerät und keiner weiteren Auslegung bedarf.

Damit rückt Jesus in den Mittelpunkt der Erzählung, die Person des Gelähmten ganz in den Hintergrund. Der Kranke droht zum Objekt im Streit zwischen Jesus und seinen Gegnern zu werden. Im Zentrum steht die Frage der Sündenvergebung, näherhin der Streit um die Kompetenz zur Sündenvergebung.
Im jüdischen Verständnis war diese allein Gott vorbehalten. Die durch den Hohenpriester dem Volk Israel vermittelte Sündenvergebung war an Kult und Opfer gebunden. Selbst dem erwarteten Messias wurde dieses Recht nicht zuerkannt; er sollte eher die Sünder vernichten oder vertreiben als Israel die Sünden vergeben.

Der von den Schriftgelehrten gedachte Vorwurf der Gotteslästerung, auf die nach der Tora (Lev 24,11ff; Num 15,30) die Todesstrafe stand, ist jedoch nur konsequent, wenn Sündenvergebung durch Jesus selbst unterstellt wird, was vom Wortlaut her nicht der Fall ist. Im Aufriss des Markusevangeliums, jener „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ (Martin Kähler), wird damit schon zu Beginn das Ende Jesu angedeutet.

Wir können also an den literarkritischen Nahtstellen dieser Erzählung ihren längeren Entstehungsprozess mitverfolgen und ganz unterschiedliche theologische Interessen erkennen: Die Wundergeschichte diente missionarischer Verkündigung, das Streitgespräch der Selbstvergewisserung der Gemeinde und der Bestätigung ihrer Praxis, in Jesu Namen Sünden zu vergeben.

2. Die Auslegung von Mk 2, 1-12
Doch kehren wir nach diesem notwendigen Schritt diachronischer Analyse zu dem kanonischen Markustext zurück, um ihn synchron in all seinen Besonderheiten zu würdigen und seine Botschaft zu hören:
Das Miteinander und Ineinander von Sündenvergebung und Heilung von Krankheit möchte ich als das Idion, das Eigene und Besondere dieser Perikope bezeichnen. Es begegnet uns nur hier im ganzen Neuen Testament in dieser Dichte und Intensität. Anders als bei allen anderen Heilungsgeschichten geht es hier um das Ineinander von körperlicher und geistlicher Heilung, um das Miteinander des Heilwerdens an Leib und Seele, um Krankheit und Sünde, um Heilung und Vergebung, um Irdisches und Geistliches.

Diese Geschichte erzählt die Begegnung eines Menschen mit der umfassend heil machenden Gegenwart Gottes in Jesus Christus. Was sich in der Sündenvergebung ereignet, wird sichtbar in einer körperlichen Heilung. Und umgekehrt: Wo zunächst ausschließlich körperliche Heilung erwartet wurde, geschieht mehr, geschieht Tieferes, nämlich ein heil machender Zuspruch der Sündenvergebung. Die Botschaft dieser ganz besonderen Heilungsgeschichte ist klar. Jesus handelt hier in einzigartiger Vollmacht. Er handelt an der Stelle Gottes, denn „wer darf Sünden vergeben als Gott allein?“

Jesus, in dem Menschen den Sohn Gottes erkannten, er heilt in seiner einzigartigen Vollmacht einen Menschen – und zwar ganz, an Leib und Seele. Er bleibt nicht stehen beim äußerlich sichtbaren, irdischen Defekt des Gelähmten. Er sieht tiefer. Er sieht hinein in die Seele dieses Menschen und er erkennt sein Angewiesensein auf die Gnade Gottes.

Deshalb spricht er ihn zärtlich an: „Mein Sohn“. Jesus geht es nicht um die Wiederherstellung eines kranken Körpers. Nein, mit der Heilung des Gelähmten setzt er ein Zeichen einer viel tiefer gehenden Heilung, wenn er fortfährt: „Deine Sünden sind dir vergeben."

Aus dem bisher Dargelegten ist klar, dass Jesus hier die menschliche Sünde als „Ur-Sünde“ im eigentlichen Sinne meint: definiert als Gottesferne. Und diese wird in unserer Szene zuerst durch die deutlich zugesprochene Kindschaft überwunden. - Wohlgemerkt: es heißt nicht, „deine Sünden sind dir vergeben, nun kannst du mein Sohn sein." Sondern umgekehrt: „mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben."

In dieser Reihenfolge! Insofern gehört die Sündenvergebung als bedingungs-lose Annahme des Menschen in all seiner Hinfälligkeit und auch moralischen Schwachheit notwendig zur Kindschaft hinzu. Alles, was trennend ist, wird durch sie aufgehoben. Was den Kranken vielleicht über Jahre von Gott weggebracht hat, seine Klage, Anklage und Bitterkeit sind überwunden.

Das sprachlose Angewiesensein bis zur Selbstaufgabe, wo sich nach langem Leiden mitunter die Persönlichkeit aufzulösen und zum „hoffnungslosen Fall" zu mutieren beginnt. Was den Menschen in seinem Herzen gelähmt hat, wird gelöst, was er den Angehörigen an Aggression, und Verzweiflung aufgebürdet hat, ist vergeben. Alle Willenlosigkeit und Ohnmacht wird beendet. Alles weicht, was bisher noch unausgesprochen zwischen Gott und dem Menschen steht, was Hoffnung und Gottvertrauen erschüttert hat.
Bereits in Jesu Anrede „Mein Kind, mein Sohn" ist alles gesagt. Als Stellvertreter Gottes nimmt Jesus den Kranken an als Sohn. Mich fasziniert diese Unmittelbarkeit der „Adoption". Damit werden lange quälende Fragen abgeschnitten, das Grübeln und die Selbstanklage beendet. Damit bringt Jesus seine Botschaft vom Kommen der Gottesherrschaft auf den Punkt: Gott bestraft die Leidenden nicht, sondern er will gerade ihnen nahe sein. Er beruft die Schwachen und Kranken als Allererste in sein Reich, als seine Kinder.
Wie gut, dass dies so unmissverständlich klar wird. All die Fragen „Warum, warum gerade ich?", „Was habe ich Unrechtes getan, dass ich so leiden muss?" werden eindeutig beantwortet mit der engsten Gottesnähe, die sich in der Kindschaft ausdrückt.
Das muss man sich angesichts menschlichen Leids immer wieder ganz stark ins Gedächtnis rufen. Wir können die Herkunft von Krankheit und Leid zwar nicht erklären, und Gott will unser Leid ganz gewiss nicht – auch wenn er es zulässt -, aber wir erfahren in dieser Geschichte unmissverständlich: So nahe ist Gott den Leidenden.
Das hebt das Leiden zwar nicht auf, aber wir können es eher aushalten, wenn wir eindeutig wissen, wo Gott steht. Am Bett der Schwerkranken ist diese Nähe das Einzige, was uns die Frage nach Gott erträglich macht, so wie er in seinem eigenen Leiden am Kreuz den Leidenden nah und nur so glaubwürdig ist.
„Wo ist er denn, Ihr Gott? Ich versteh den da oben nicht, wenn es ihn überhaupt gibt...", „Warum, wenn er doch Gott ist, lässt er mich so leiden?" Sätze, die auch Seelsorger am Krankenbett oft ebenso sprachlos machen wie das Leiden selbst.

Möge da Jesu Stimme an das Ohr der Leidenden dringen: „meine Tochter, mein Sohn." Dann könnte das bittere Fragen und Zweifeln für einen Moment verstummen, dann wäre der Himmel offen und die Liebe eindeutig in diesen zwei Worten. - Aber wie schwer ist das auch anzunehmen, wenn man selber so tief drinnen steckt in dem Prozess des Leidens. „Sagen Sie mir ja nichts Frommes jetzt, Herr Pfarrer" spricht mich eine Frau an, in ihrem Gottvertrauen mürbe geworden durch ihr langes Leiden.
Bewegend sind die Worte von Christoph Schlingensief, der seinem Tagebuch einer Krebserkrankung anvertraut, was da an Kämpfen tobt in seinem Kör-per, was sich in seinem Herzen abspielt, in seinen Gedanken. Er notiert sein Ringen mit Gott - in allen Wandlungen, das es erfährt in der Zeit seiner Erkrankung:
Er schreibt: „Jedenfalls ist das Verhältnis zu Gott und zu Jesus zerrüttet. Ich dachte, dass ich im Kern beschützt sei. Von Gottes Gnaden behütet, belohnt mit Tausenden von Möglichkeiten, gesegnet mit einem langen Leben, mit vielen, vielen Dingen, Bildern, Fragen, Antworten, Fragen, die sich aus Antworten ergeben. ... Und das, lieber Gott, ist die größte Ent-täuschung. Dass du ein Glückskind einfach so zertrittst, du bist jedenfalls gerade dabei, das zu tun... Pure Ignoranz ist das. Gott sagt einfach, was du da machst, interessiert mich nicht, ist mir egal." (Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung, S.51f)

Und an einer anderen Stelle schreibt er: "Ach, ich bin leer, ich bin tot, ich bin aus. Flamme aus. Vorher aber noch die große Erleuchtung. Jesus hat sich mir, Christoph Schlingensief, in der Kapelle gezeigt, indem er mich verstummen ließ, und plötzlich wurde alles warm. Ja, super, du Leidens-beauftragter! Das war ein schönes Erlebnis, kann ich nicht abstreiten. Hat mir was gebracht. Fand ich schön. Aber Jesus ist trotzdem nicht da. Und Gott ist auch nicht da. Alles ist tot.“ (S.71)
Christoph Schlingensief schreibt an einer anderen Stelle: „Nach der Therapiestunde bin ich nachmittags noch einmal zu einer Messe in Sankt Josef gegangen, weil mir das gestern so gut getan hatte. Diesmal musste ich ein wenig weinen, aber nur ganz leise und ganz kurz. „Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund" - das war der Satz, bei dem ich plötzlich anfing zu weinen. Die Kommunion zu empfangen, war auch wieder gut. Mich beru-higt dieser Vorgang, für mich ist er Seelenbalsam." (S.195)
Und gegen Ende seines Buches resümiert er: „...diese Sache mit Gott ist echt noch offen. Würde mich sehr interessieren, warum Gott solche Radi-kalmaßnahmen von den Menschen fordert. Es passiert so viel Leid, dass ich mit Gott wirklich meine allergrößten Probleme habe und ihn oder Jesus bitten muss, mir das mal zu erklären. Vor allem, warum man dieses Leiden überhaupt zur Währung erklären soll? Das ist doch eine Beschmerzung, die da stattfindet. Gott ist ein Schmerzsystem. Gott hat nichts mit Freude zu tun...
Warum ist das Gottesprinzip kein Freudenprinzip? Warum denkt man nicht an Gott und preist ihn, wenn man sich freut, auf der Welt zu sein, wenn man sich freut, dass tolle Sachen passieren? Warum kommt er immer erst dann ins Spiel, wenn man feststellt: Na klasse, Familie weg und Krebs und wieder kein Sechser im Lotto. Man müsste das Gottesprinzip viel stärker als frohe Botschaft etablieren, als frohen Gedanken, als Freiheitsgedanken, als Friedensgedanken. In jedem Kopf, in jeder Religion, in jedem Wesen, überall.“ (S.210f)
Von dem Gelähmten in unserer Geschichte erfahren wir nichts über diesen ganzen aufgewühlten Hintergrund seiner Krankheit, nichts von seinem Ringen mit Gott, nichts von seinen Anstrengungen, wieder gesund werden zu wollen. Er bleibt merkwürdig passiv. Auch von seinem Glauben ist hier keine Rede, der ja konstitutiv ist für die Topik der Heilungswunder.

Glauben aber zeigen die vier Männer, die den Gelähmten zu Jesus tragen. Sie springen mit ihrer zupackenden Direktheit für ihn ein. Und weil sie wegen der Volksmenge nicht zu Jesus gelangen können, lassen sie sich etwas einfallen: Sie steigen Jesus und der ganzen Festgemeinde kurzerhand „aufs Dach“. Umgangssprachlich heißt das: Sie sagen ihm die Meinung und das mit Nachdruck. Sie geben denen im Haus zu verstehen: Auch wenn euer Haus voll ist, Ihr da unten seid nicht vollständig, ihr habt in Euren Mauern jemanden vergessen: den Schwachen, der alleine nicht zu euch gelangen kann.
Schnell decken sie das mit Lehm und Stroh gedeckte Dach ab, um den Kranken auf seiner Matte herunter zu lassen: Nun müssen die Leute zum ersten Mal zu ihm aufschauen...
Wir wissen nicht, ob in Kapernaum die vier Männer, die den Gelähmten bringen, seine dicksten Freunde sind. Aber: Sie tragen ihn. Und daran sehen wir, wie sie ihn wichtig und ernst nehmen. Sie tragen ihn und geben ihm damit Gewicht, bringen seine Wichtigkeit zur Geltung. Dieses labile Leben hat für sie Bedeutung in der Waagschale der Welt. Sie interessieren sich für sein Schicksal und wollen, dass er einmal wieder aufatmen kann. So kommen sie auf die Idee, den Kranken durch die Luke im Dach abzuseilen – Jesus direkt vor die Füße. So, da hast du ihn. Jetzt kannst du ihn nicht mehr übersehen. Tu was! Und Jesus geht voll darauf ein. In unserem Text steht: „Jesus sah ihren Glauben!“
Er stimmt den verwegenen Dach-Abdeckern zu, macht ihnen ein Kompliment: „Ich sehe, Ihr habt Glauben. So verwegen wie Eure Aktion sieht Vertrauen aus!“ Denn Vertrauen heißt: an den Ausweg glauben. Glauben, dass die Ideen nicht ausgehen. Nach der Enttäuschung nicht den Mut aufgeben. Die Beharrlichkeit dieser vier Männer ist für Jesus Zeichen eines unerschütterlichen Glaubens. Der Gelähmte ist also in dieser Geschichte ein vom Glauben anderer Getragener.
Und Jesus spricht jenen so gefüllten Satz: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“
Das hatten sich die vier Männer wohl anderes vorgestellt. Seine körperliche Heilung erhofften sie sich von Jesus – und jetzt dies! Es entsteht ein Raum, der viele Fragen provoziert.
Jesus spürt das. Er erkennt auch, was die Schriftgelehrten denken und welche Fragen für sie im Raum stehen. Und er nimmt ihre Bedenken ernst und würdigt sie einer Antwort. Eine Antwort allerdings, die mit einer Frage beginnt: „Was ist leichter - zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben? oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?“

Ja, was ist denn leichter? - Spontan würden wir vielleicht meinen, das erstere sei doch leichter: zu sagen „Dir sind deine Sünden vergeben“. Denn das kann keiner nachprüfen. Das andere hingegen, das kann man nicht einfach nur so sagen, das muss dann tatsächlich auch geschehen: „Steh auf!“

Was also ist leichter? Für die Schriftgelehrten ist das Eine keine Frage: Sünden vergeben, Schuld streichen, Verfehlungen aus der Welt schaffen, das ist unendlich schwer. Das ist zu schwer, als dass ein Mensch das eigenmächtig tun dürfte. Das kann nur Gott. Doch ist das andere nicht genauso unmöglich? Welcher Mensch sollte ein solches Wunder bewirken können?
Während die Schriftgelehrten vielleicht noch über seine Frage nachdenken, fährt Jesus schon fort: „Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erde, sagte er zu dem Gelähmten: Steh auf...!“

Wir sehen also: Das ist keine normale Heilungsgeschichte. Hier wird ein Mensch nicht nur befreit von einer körperlichen Lähmung. Er wird zugleich befreit von der Fesselung an sich selbst. Er wird befreit von der Lähmung seiner Seele. Jesus hat hinter den Symptomen der körperlichen Erkrankung die grundlegenden Störungen im Leben des Gelähmten entdeckt und er bearbeitet sie.

Wie ungeheuer modern ist das, was mit dieser außerordentlichen Heilungs-geschichte ausgesagt wird. Denn körperliche Leiden stehen auffallend häufig in einem tiefen Zusammenhang zu sonstigen Störungen des Lebens, wie die psychosomatische Medizin weiß: Sie kann inzwischen sehr viel über das Zusammenspiel zwischen seelischem und körperlichem Wohlbefinden sagen, zwischen seelischer Belastung und körperlicher Krankheit.
Heilung eines Menschen auf die Beseitigung körperlicher Störungen zu reduzieren, bedeutet jedenfalls eine gefährliche Verkürzung.
Und es ist überhaupt die Frage an uns, wie wir mit Krankheit umgehen...? Ob wir sie weg stecken oder an uns heran lassen; ob wir uns ihr stellen wollen oder sie als Schwäche, die wir nicht zulassen können, überspielen, gar nicht wahrhaben wollen; ob wir sie als einen Spiegel für unsere seelische Befindlichkeit verstehen, als Anfrage an unser Lebenskonzept und unseren Lebensstil, als Aufbruch ins Unbekannte, als einen Weg vielleicht, unter Schmerzen uns selbst zu finden und im Zerbrechen das Leben. Krankheit wird heute von vielen Zeitgenossen angesehen als ein Defekt, der medikamentös jederzeit wieder zu beheben ist: eine kleine Unpässlichkeit. Man geht zum Arzt, wie man das Auto in die Reparaturwerkstatt gibt.
Unsere Sprache ist da verräterisch: man lässt sich wieder einmal "durchchecken", nachschauen, ob die "Pumpe" noch in Ordnung ist. Doch diese Redensart verkennt, dass sehr viel mehr in Mitleidenschaft gezogen ist, wenn "das Herz" erkrankt, die Personmitte. Denn es leidet doch immer der ganze Mensch und nicht nur ein Organ, das notfalls auswechselbar ist. Jedes ernsthafte Kranksein erweckt den Gedanken an das Sterben: dass unser Leben ein Ziel hat, und wir davon müssen. Es heißt, Krankheiten seien "Höflichkeitsbesuche des Todes". Und es ist gut, sich beizeiten damit auseinander zu setzen, damit wir im Ernstfall gerüstet und vorbereitet sind.
Viele körperliche Leiden sind Zeichen einer tiefgehenden Störung des Lebens. Oft weisen Krankheiten uns darauf hin, dass in unserem Leben Dinge in Unordnung geraten sind. Und viele Konflikte, die wir mit uns herumschleppen und die wir nicht bewältigen, finden in körperlichen Beschwerden ihren Ausdruck.
Jesus hat hinter den Symptomen der körperlichen Erkrankung die grundlegenden Störungen im Leben des Gelähmten entdeckt und bearbeitet. Deshalb antwortet Jesus auf die gläubige Bitte um körperliche Heilung mit dem heilenden Angebot der Sündenvergebung.
So wie in dieser ganzheitlichen Sicht der Prophet Jeremia bittet: „Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“ (Jer 17,14)

B: Benjamin von Block – Leben und Wirken

Es ist ein seltener Glücksfall der Geschichte, dass wir über das Leben und Wirken des Benjamin von Block erstaunlich gut Bescheid wissen. Denn der Maler und Kunstliterat Joachim von Sandrart (1606–1688) hat Benjamin Block ein literarisches Denkmal gesetzt:
Und zwar in seiner Schrift „Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste“, verlegt in Nürnberg 1675/1679/1680. Während Block im Ersten Teil von 1675 noch keine Erwähnung fand, wurde seine Vita dem Zweiten Hauptteil von 1679 hinzugefügt und von Sandrart verfasst. Im Folgenden stütze ich mich hauptsächlich auf diese ausgiebige Quelle.

Benjamin Block entstammt – wie auch seine Frau – einer Künstlerfamilie. Er wird 1631 in Lübeck geboren. Sein Vater Daniel Block (1580–1660/61) war ein gewandter, aber häufig schematischer Porträtist am Schweriner Hof, arbeitete jedoch auch für den schwedischen Hof und für König Christian IV. von Dänemark. Auch Benjamins Brüder gingen in diese Richtung: Emanuel (1608 bis nach 1688) stattete in Rostock die Kirchen mit Epitaph-, Gedenk- und Predigerbildnissen aus, Adolph war Schlachtenmaler.

Dazu vermerkt Sandrart: „Er (Daniel Block) hatte 4 Söhne: worunter 3 als Emanuel/ Adolf und Benjamin/ die edle Mahlerkunst gleichfalls also begriffen/ daß sie dadurch bey grossen Fürsten und Herrn sich auch sehr berühmt gemacht/ der Emanuel in Contrafaiten und stilligenden Sachen/ der Adolf aber in Historien und Pferden. Der Benjamin/ so der Jüngste unter ihnen und ... Anno 1631 zu Lübeck in der Keyserl. freyen Reichs-Stadt geboren worden/ trug gleichfalls grösseres/ Belieben zum mahlen als zum studiren.“

Die Familie Block erlebte die Wirren des 30-jährigen Krieges. Dazu Sandrart: „Daniel Block wird durch Krieg beraubt/ mit Feuerbrunst umgeben/ der jüngste Sohn Benjamin Errettet das Leben seinem Vater und Mutter bis er/ nach Verlierung aller seiner Haab und Güter (die der grausame Krieg Anno 1630. und zuletzt die grosse Feuersbrunst Anno 1651. zu Schwerin alle weggeraubt/ oder verbrannt/ daß er nicht mehr/ als das Leben samt seiner Hausfrauen und jüngstem Sohn Benjamin/ der sie beyde aus dem Feuer gerissen/ behalten/ und als eine Beute davon gebracht hat) in dem 81. Jahr. seines Alters/ zu Rostock selig in dem Herrn entschlaffen.“

Block, der wohl beim Vater seine Lehre begann, schloss sich der von den Niederlanden bestimmten eklektizistischen Schulrichtung in Norddeutschland an. Seine besondere Befähigung lag eindeutig auf dem Gebiet der Bildnismalerei, was ihn zu dem beliebtesten und meistbeschäftigten Porträtisten seiner Zeit in Deutschland machte. Von ihm sind mehr als 550 Bilder belegt. Er bewegte sich Zeit seines Lebens in höheren Kreisen, denn sein Klientel stammte überwiegend aus dem europäischen Adel und Hochadel.
1659 ging er nach Rom, wo er eine Reihe vornehmer Aufträge erhielt, Anfang der 60er Jahre verlegte er seinen Arbeitsplatz nach Nürnberg und Regensburg. Für Kaiser Leopold I. schuf er eine ganze Bildnisgalerie. Er hat die kaiserliche Familie und 560 fürstliche Personen mit besonderer „Lebensgleiche“ dargestellt, wie aus seinem am 10. März 1684 ausgestellten Adelsbrief hervorgeht. Ein Jahr nach seiner Erhebung in den Adelsstand malt er – wohl aus Dankbarkeit - dieses Bild der Heilung des Gichtbrüchigen und verehrt es seiner Kirchengemeinde.
Benjamin von Block hat auch die Technik der Radierung weiter entwickelt: Er war einer der ersten, die die neue graphische Technik der Schabkunst anwandten, etwa seit 1671. Insgesamt sind vier Porträtblätter bekannt.
Block starb im Jahr 1690 in Regensburg, nur 4 Jahre nach der Schenkung dieses Bildes.
Hier noch einige Auszüge aus Sandrarts Biographie über ihn: „und weil die Minerva ihm auch ein Zweiglein ihrer Huld und Wolgewogenheit schencken wollen; hat sie dasselbe ihm Anno 1647. schon wircklich gereicht: da er des Hertzog Adolf Friederichs zu Mechelenburg/ höchstseel. Gedächtnus/ Contrafäit/ nach dem Leben gemacht/ hernach mit der Feder/ auf groß Regal/ in Lebensgrösse/ dessen Brust-Bild so frey gerissen/ daß man nicht anders vermeint/ denn es wäre ein Kupferstich. Wodurch er grosse Gnade und Ehre/ bey vorgedachtem Hertzog erhalten/ auch von demselben/ ward gelobt aller Orten/ damals bestens recommendirt worden/ sonderlich an dem HochFürstlichen Hof zu Halle in Sachsen...“
„Weil aber seine Augen meistens nach Italien verlangten/ und nach andrer vornehmer Länder Besichtigung lüstern waren/ darinn er/ zu noch besserer Erlernung der Kunst/ und Wachsthum der Geschickligkeit/ Gelegenheit antreffen könnte; reisete er von Dresden/ auf Wien...“
So kam Benjamin Block zu dem Grafen Franz von Nadasti nach Ungarn und blieb bei ihm 3 Jahre. Er malte in dieser Zeit 5 Altarblätter, unter anderem auch das große Haupt- Altarblatt der Kirche in Rab mit der Steinigung des Stephanus. Damit legte er so große Ehre bei seinem Grafen ein, dass es mit „13.hundert Gulden“ gewürdigt wurde, weswegen Graf Nadasti ihn „gern die Zeit seines Lebens bey sich behalten wolte“.
Schließlich reist er 1659 wirklich nach Rom, trifft dort durch seine Kunst Papst Alexander VII., den Großherzog von Florenz und andere vornehme Herren. Er malt in Venedig viele Porträts, bis er wieder nach Deutschland zurück kommt.

  • Im Jahr 1664 heiratet er 33-jährig Anna Catharina Fischer (1642–1719), Blumen- und Porträtmalerin in Halle. Sie ist die Tochter des berühmten „Illuministen“ Hans Thomas Fischer aus Nürnberg. Benjamin von Block trifft sie, die Maler-Kollegin, am Hof des Herzogs, weil sie die Herzogin und die Prinzessinnen mit „Gummi-Farben“ gelehrt hat, Blumen zu malen. Und dann nimmt Blocks Malerkarriere einen steilen Aufstieg: Er ist nach Wien an den kaiserlichen Hof „recommendirt“ worden und „conterfätet“ die Käyserliche Majestät. „Allda er nicht allein viel hohe Ministers/ sondern auch die Römisch-Käyserl. Majestät Selbsten in Keyserlichen Ornat, groß und klein gecontrafeitet/ und dafür mit einer ansehnlichen Keyserlichen güldenen Gnaden-Ketten und Bildnüs regalirt ist Zu geschweigen/ was er sonsten noch für andre Fürsten/ Grafen und Herren mehr/ mit seinem zu Regenspurg kunstreichen Strich abgebildet. Sonsten hält er sich mehrentheils in Regenspurg auf.“
  • Benjamin von Block erhielt bereits 1672 eine goldene Kette mit Gnadenpfennig . Diese Auszeichnung tragend ist Block im Vitenporträt in Sandrarts Teutschen Akademie 1675 zu sehen.
  • Und seine Auszeichnung kommt hier nochmals ganz groß ins Bild.
  • Mehrmals hat er Ihre HochFürstliche Durchlaucht Albrecht Sigmund, Bischof von Freising und Regensburg gemalt. Als Beweis seiner auf Lebensechtheit zielenden Malkunst führt Sandrart eine nette Anekdote an: „Unten an der Erden/ neben Ihr Durchl. ligt ein grosser Englischer schwartz- und weisser Hund: welcher vor grosser Hitze so natürlich lechzet/ daß/ als der lebendige Hund sein Contrafeit angesehen/ er davor sich gescheuet und entwichen. An diesem Stück haben Ihre Hochfürstl. Durchl. sonders gnädiges Belieben getragen/ derenthalben auch den Blocken in grossem Werth gehalten/ und gute Gleichheit und Angenemheit. mit Mildigkeit angesehen. Es ist allerseits bekandt/ daß seine Contrafeiten sehr wolgleichend/ anmutig/ und gefällig seyn: Die er überdas/ mit besonderer Geschwindig-keit/ weiß zu verfertigen/ Gestalltsam ich dessen Lob und Würde an zweyen besondern meiner eigen Contrafäiten/ klärlich bescheinigen kan.“
  • Neben seiner Malkunst würdigt Sandrart aber auch den tadellosen Charakter Benjamin Blocks, wenn er schreibt:
    „Was sein Leben und Wandel betrifft/ ist er der Tugend und Redligkeit beflissen/ niemals hat man ein schändlichs Gemähld von ihm gesehen. Deswegen/ als ihme einsmals ein vornehmer Herr/ welcher auf solche geyle ärgerliche Bilder und andere Liederlichkeit/ viel spendirte/ unsrem Blocken zum öfftern anlag/ er solte ihm einen Türckin-Kopff von allerhand weiblichen Natur-Gliedern/ jungen und alten/ kleinen und grossen zusammen ordiniren/ gleichwie man von allerhand Früchten oder stilligenden Dingen/ offt solche Köpffe inventirt/ und für begehrten Kopf/ den er doch in wenig Tagen hätte können verfertigen/ 100 Reichsthaler zu geben versprach; weigerte sich doch dieser gewissenhaffte Mann/ und sagte/ wann sie ihm auch 10000 Rthl. geben wolten/ so begehrte er nicht einmal auch nur einen Strich anzufangen.
    Worüber jener/ als ein sehr weltlicher Herr/ sehr gelachet und sich verwundert hat; Er aber nochmaals gesagt/ was Gott und die Natur/ bey dem Menschen/ verborgen halten wolte/ begehrte er so liederlicher Weiß/ nicht zu offenbaren. So giebt er auch einen guten beredtsamer Hofman.“

Und nun möchte ich Ihnen noch weitere Bilder Blocks zeigen, die für seine Malkunst charakteristisch sind:

  • Dieses Bild zeigt ein Portrait von Henriette Luise von Württemberg (1623-1650)
  • Kaiser Leopold I. (1640-1705) im Harnisch mit Feldherrnstab, Kniestück 1672(1672)
    Leopold I. wurde bereits sehr jung König von Böhmen und Ungarn, da sein Bruder Ferdinand IV. überraschend starb. Er wäre eigentlich für eine geistliche Laufbahn vorgesehen gewesen und genoss daher eine streng religiöse Erziehung, die ihn zum Befürworter der Gegenreformation machte. Während seiner langen Regentschaft führte die Habsburgermonarchie zahlreiche Kriege gegen Frankreich, das Osmanische Reich und innere Gegner in Ungarn. Als barocker Herrscher förderte Leopold die Künste, er interessierte sich besonders für Musik.
  • Markgraf von Brandenburg
  • Bischof von Eichstätt
  • Wilhelm Ludwig Herzog von Württemberg
  • Albrecht von Brandenburg
  • Kaiser Josef I. (1678-1711) im Alter von 6 Jahren mit einem Hund, in ganzer Figur, 1684
  • Anna Catharina Fischer, Blumenbild

Doch wie hat Benjamin von Block nun das Evangelium des 19. Sonntages nach Trinitatis künstlerisch umgesetzt und in Szene gesetzt? Wir versteht er die Botschaft dieses Textes aus dem Mk-Evangelium? Wo setzt er Akzente?

C: Benjamin von Block: Die Heilung des Gichtbrüchigen

Zunächst muss ich mich entschuldigen, weil die Qualität meiner Aufnahmen leider nicht perfekt gelungen sind. Ich bewegte mich zwar auf der Leiter in luftiger Höhe, doch das Ölbild reflektierte sehr viel Licht ...
Benjamin von Block beschränkt sich in seiner Darstellung auf die Heilungs-geschichte, die er bewusst als Vergebung der Sünden akzentuiert. Ja er malt einen einzigen Vers dieser Perikope, nämlich das vollmächtige Wort Jesu: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Das untere Schriftband des geschnitzten Rahmens trägt diese Aufschrift. Das Wort Jesu und die Intention des Künstlers muss sichtbar gemacht und geschrieben werden, weil dieses Herzstück des Evangeliums allen Betrachtern vor Augen stehen soll.
Hier wird deutlich, wie dieses Bild im Sinne seines Malers und Stifters ver-standen werden will – nämlich als die Quintessenz lutherischer Theologie: Jesus nimmt die Sünder an, er vergibt ihre Schuld. Dazu bekennt er sich bis zu seinem Tod, ja in seiner Hingabe für die Seinen. Das bezeugt auch der Abendmahlskelch von 1542, jede Predigt, jede Beichte und jede Taufe, die in unserer Kirche gefeiert wird.
Diese Akzentsetzung entbindet Block von der weitaus schwierigeren Aufgabe, Jesu Streitgespräch mit den Schriftgelehrten ins Bild zu rücken. Nach klassischer Bilddramaturgie kommt von links der Gelähmte ins Bild, während auf der rechten Bildhälfte mit Jesu heilendem Handeln die Rettung naht. Der Kranke wird getragen auf seinem Bett, die Freunde schauen ihn gespannt und freundlich aufmunternd an, wünschen ihm eine Besserung seines Leidens, ja hoffen auf ein Wunder...
Wir sehen einen wunderschön gestalteten Faltenwurf seines blütenweißen Bettzeugs, mit dem Spiel von Licht und Schatten. Der Gelähmte ist in seinem Bett halb aufgerichtet, sein nackter, ausgemergelter Oberkörper wird sichtbar, sein vom Liegen wirres, ungekämmtes Haar.
Er hebt flehentlich die Hände, hat sie zum Gebet gefaltet. Sein sehnsüchtiger Wunsch nach Heilung drückt sich darin aus. Eindrucksvoll ist sein Augenkontakt zu Jesus gestaltet. Eine Spannung baut sich auf: unsere Augen gehen von links nach rechts.

Da kommt von rechts Jesus in den Bildmittelpunk mit seinen Jüngern und umringt von einer großen Menschenmenge. Mit besonderer Sorgfalt wendet sich Benjamin von Block nun der Gestalt Jesu zu: Er unterstreicht Jesu vollmächtiges Auftreten, seine hoheitsvolle Gestalt, die Intensität seiner Zuwendung zu dem Gelähmten. Jesu Gesammeltheit und charismatische Kraft wird von ihm besonders eindringlich gestaltet. Der Nimbus, der Jesus umgibt, kennzeichnet ihn als zu Gott gehörig und unterstreicht seine Hoheit, impliziert in jedem Fall auch das Menschensohn-Wort von Jesu Vollmacht der Sündenvergebung. Das rote Gewand mit dem dunkelblauen Überwurf macht Jesus schon durch die Farbgebung zur auffälligsten Figur des Bildes und verleiht ihm königliche Würde.
Jesu Hoheit und Vollmacht kommt auch in seiner gebietenden und zugleich segnenden Handhaltung zum Ausdruck.
Überhaupt: Benjamin Block und die Hände! Das wäre ein ganz eigenes Thema. Denn auf das Malen der Hände hat er sich besonders gut verstanden. Er erkennt ihnen große Bedeutung für die Bildaussage zu und malt sie deshalb besonders genau, zartfühlend, so dass die Hände in seinen Bildern zu sprechen beginnen, sie sind ungemein expressiv gemalt. In unserem Bild umreißen und bezeichnen sie ein Kraftfeld in der Bildmitte, den Raum zwischen Jesus und dem Gelähmten. Dieser Raum wird von Händen umgeben und so mit Emotion und Kraft aufgeladen. Geschickt hat Block eine Figur am linken Bildrand von hinten gemalt und dunkel abgesetzt von der hellen Farbe des Bettlakens. Ein Mann mit Hut und wallendem Bart, der seine Hand vor Verwunderung und Erstaunen austreckt und seine Finger spreizt. Ob Block mit ihm einen in seinen Augen typischen Vertreter des jüdischen Glaubens malen wollte, bleibt ungewiss.
Dann sehen wir rechts unten im Bild eine Frau mit zwei Kindern. Eines nimmt sie gerade auf ihre Arme. Das andere Kind steht rechts hinter ihr. Durch die Platzierung der Personengruppe gewinnt das Bild Tiefe.
Zugleich kommen die unterschiedlichen Generationen und vor allem auch – neben der Ansammlung vieler Männer - die Frauen ins Bild; und das an prominenter Stelle: an der Herzseite Jesu.
Ihnen allen, Männern, Frauen und Kindern, Kranken und Gesunden gilt das Wort Jesu: „Sei getrost, mein Kind, mein Sohn, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben!“
Die Landschaft am See Genezareth, Kapernaum mit seinen Fischerhäusern, den Fangbooten und der alles beherrschenden Synagoge übersetzt Block in einen städtischen Kontext seiner Tage. Wir sehen große Architekturbauten, eine Kirche, eine mächtige rund gebogene Ballustrade mit Geländer. Auch die Kleidung der Menschen dürfte mit Ausnahme des Gewandes Jesu eher einer Regensburger Tracht des 17. Jahrhunderts entsprechen.
Das Stifterwappen oben im geschnitzten Akanthusrahmen will die Herkunft dieses Bildes kenntlich machen und den Stifterzweck angeben. Wir können hier ein Doppelwappen erkennen, links das von Benjamin Block und rechts das seiner Frau Anna Catharina, geb. Fischer, klar erkennbar am Symbol der zwei Fische. Was sich in seinem Wappen da alles tummelt, kann vielleicht ein Heraldiker genauer bestimmen...
Den Stifterzweck finden wir in der Inschrift auf dem oberen Spruchband: „Omnia ad majorem Dei gloriam!“
Ich kann mir gut vorstellen, dass Benjamin von Block damit nicht nur seiner Familie in unserer Kirche ein bleibendes Denkmal setzen wollte, sondern dieses Geschenk zur höheren Ehre Gottes machen wollte, damit die Gemeinde das Herzstück des Evangeliums vor Augen gestellt bekommt: Bewusst im Rückgriff auf den ersten Reformationsgottesdienst in dieser Kirche. „Omnia ad majorem Dei Gloriam“.
Und gewiss hat er auch seine Malkunst überhaupt so verstanden, als eine göttliche Gnadengabe, die den Schöpfer verherrlichen will und die im Dank zu ihm zurück kehren soll.

Dann noch ein Wort zu dem kostbar geschnitzten Rahmen und dem Symbol des Akanthus:
Bereits in der klassischen Antike erscheint der Akanthus in der Kunst der Griechen und Römer auf den Kapitellen von Säulen und findet auch Verwendung im Grabkult als die Pflanze, die mit ihrem üppigen Wuchs die Unsterblichkeit darstellte.
Das Christentum verlieh dem Akanthus einen symbolischen Charakter, der sich hauptsächlich aus den kleinen Dornen dieser krautartigen Pflanze ableiten lässt. Schon die Kirchenväter beziehen sich darauf, dass hier der Fluch der Sünde Dornen und Disteln auf dem Acker wachsen lässt und diese Pflanze somit das Leid und die Gewissensqual symbolisiere, die der Sündenfall nach sich zog.
Interessanterweise lassen sich beide Deutungen durch das gesamte Mittelalter nachweisen: Die Idee von der Schwachheit des Menschen, insbesondere von der Schwachheit des Fleisches, und gleichzeitig konnte dasselbe Pflanzenmotiv auch eine andere Vorstellung umschließen, die der Spiritualität mönchischer Gemeinschaften näherstand: die der Wiedergeburt des Menschen und der Unsterblichkeit der Seele.
Von daher hat Benjamin von Block auch die Anfertigung dieses kunstvollen Rahmens ganz bewusst konzipiert und ausführen lassen: Denn der Akanthus verweist mit seiner Bedeutung direkt auf die Bildaussage zurück: Schwachheit des Fleisches und die Verwandlung des Menschen in der Sündenvergebung, seine Bestimmung zum ewigen Leben bei Gott.
Ist es zu viel behauptet, wenn ich diese Schenkung als testamentarisches Vermächtnis des Künstlers verstehe, der sich als alternder Mann mit existenziellen Lebensfragen auseinander setzen musste, vielleicht mit Krankheit und belastender Schuld, der in den letzten ruhigeren Regensburger Jahren auch sein Verhältnis zu Gott ins Reine bringen wollte, der Zuflucht genommen hat im Evangelium des 19. Sonntags nach Trinitatis und Jesu Zuspruch an sich persönlich gerichtet hörte: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“?
In ganz ähnlicher Weise versteht die Lyrikerin Eva Zeller diese markinische Heilungsgeschichte in ihrem 1972 herausgegebenen Gedichtband „Stellprobe“ (DVA, Stuttgart 1989):

Testament
Und wenn es dann soweit ist
sollt ihr wegen dem Gedränge
aufs Dach steigen und mich
hinablassen auf meiner Trage
durch die Ziegel hinab
direkt vor Seine Füße.